Was bedeutet normal?

In den letzten Tagen und Wochen, hat sich eine Diskussion am eigentlich unscheinbaren Wort "normal" entzündet, das im Zusammenhang mit der Klassifizierung der Bevölkerung in die "Normalen" und die "Anderen" oder auch "Radikalen" verwendet wurde.




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Was bedeutet normal?

In den letzten Tagen und Wochen, hat sich eine Diskussion am eigentlich unscheinbaren Wort "normal" entzündet, das im Zusammenhang mit der Klassifizierung der Bevölkerung in die "Normalen" und die "Anderen" oder auch "Radikalen" verwendet wurde.

Was bedeutet es eigentlich, wenn jemand oder etwas als normal bezeichnet wird. In der Etymologie wird normal wie folgt definiert:

Herkunft: seit Anfang des 18. Jahrhunderts nachgewiesen, von lateinisch normālis  la „nach dem Winkelmaß, nach der Regel gemacht“, spätlateinisch „nach der Regel“, vermutlich durch gleichbedeutend französisch normal  fr beeinflusst.

Weiterführende Infos zur Herkunft des Wortes normal. Von dieser Quelle stammt auch die oben genannte Definition

Wenn man sich die Abstammung bzw. Herleitung des Wortes normal genauer ansieht und in den Kontext der Aussage, dass man den „normal denkenden“ bzw. der „schweigenden Mehrheit“ eine Stimme geben möchte, weil diese sich angeblich nicht mehr gehört oder beachtet fühlt, und gleichzeitig „die Anderen“ als radikal bezeichnet, dann bedeutet das eigentlich, dass man der Minderheit unterstellt, das diese ihre Interessen innerhalb der gesellschaftlichen Ordnung mit radikalen Methoden durchsetzen will.

Was bedeutet eigentlich radikal? Auch hierzu wollen wir uns der Etymologie bedienen, die folgende Definition bereithält:

radikal Radikalismus m. ‘bis zum Äußersten gehende Verfolgung der Ziele, unnachgiebiges, rücksichtsloses Vorgehen, politisch-ideologische Denk- und Handlungsweise, die auf eine grundlegende Umwandlung bestehender gesellschaftlicher Verhältnisse abzielt, extreme politische Strömung unterschiedlicher Richtungen’ (1. Hälfte 19. Jh.), vgl. gleichzeitig entstandenes engl. radicalismfrz. radicalisme.

Komplette Information zur Herkunft des Wortes radikal. Von dieser Quelle stammt auch die oben zitierte Definition

 

 

 

Ist es aber wirklich radikal, wenn z.B. die Mitglieder der „Letzten Generation“ mit Protestaktionen auf die weitgehende Untätigkeit der Politik in Bezug auf den Klimawandel aufmerksam machen, und dies im Rahmen des Rechts auf Versammlungsfreiheit tun? Ist es radikal, wenn die LGBTQIA+ Bewegung für ihr Recht auf Gleichbehandlung demonstriert? Diese Fragen kann man getrost mit nein beantworten.

Was also ist der eigentliche Grund für diese Klassifizierung in „die WIR“ (die Normalen) und „die ANDEREN“ (die Radikalen)? Die Methode, eine Einteilung in die WIR und die ANDEREN vorzunehmen, ist zunächst einmal eine Anleihe aus dem klassischen Populismus (siehe dazu: „Populismus für Anfänger von Walter Ötsch und Nina Horaczek„), wo die Welt ganz einfach in zwei Gruppen (hier die schweigende Mehrheit und dort die Radikalen) eingeteilt wird, die sich gegenseitig bekämpfen.

Es wird eine Illusion einer gleichartigen Bevölkerung (die schweigende Mehrheit) geschaffen, die dieselben Interessen teilt bzw. anstrebt. Es wird z.B. behauptet, dass sich alle ein gutes Gehalt, ein sorgenfreies Leben und eine schöne Urlaubsreise pro Jahr wünschen.

Diese Wünsche sind ohne Zweifel weit verbreitet und legitim. Durch die Einteilung in zwei Gruppen wird aber suggeriert, dass die ANDEREN für die Nichterfüllung dieser Wünsche verantwortlich seien. Dies wird durch die Aussage, dass die ANDEREN den öffentlichen Raum komplett okkupieren (lauter schreien), versucht.

Wenn man sich vor Augen hält, dass die gedruckten Medien in der Hand weniger Verlage (bzw. deren Besitzer) sind, und eine Handvoll IT-Riesen wie Google, Microsoft, Facebook und ein paar andere die sozialen Netzwerke steuern, so ist die Aussage, dass die Minderheit (die Radikalen) den öffentlichen Diskurs dominieren, schon als einigermaßen absurd zu bezeichnen.

Warum sieht sich also die Politik dazu veranlasst, solch polarisierenden Aussagen zu tätigen?

Die Welt steht vor sehr schwierigen Herausforderungen, wie dem Klimawandel, der immer größer werdenden Konzentration des Vermögens in der Hand Weniger und die daraus resultierenden sozialen Spannungen, der beginnende Umbruch im Technologiebereich hin zum großflächigen Einsatz von künstlicher Intelligenz im Alltagsleben, ohne dass dafür eine gut fundierte gesetzliche Basis vorhanden ist, die Inflation von der behauptet wird, dass sie ein „Naturgesetz“ sei, dass den unabänderlichen Regeln des (freien) Marktes folgen, der einhergehende Verlust an Lebensqualität, der Krieg in der Ukraine und vieles mehr.

Mit diesen Herausforderungen geht die Angst der Menschen vor Veränderungen einher. Getrieben von dieser Unsicherheit und Angst ziehen sich viele Akteure auf konservative Positionen zurück, in der Hoffnung, dass es doch nicht so schlimm kommen wird, wie es dargestellt wird.

Für all diese Probleme haben auch die gestaltungswilligen Kräfte in der Politik kaum noch vernünftige Antworten bzw. nur solche Antworten, die mit Einschränkungen für jeden Einzelnen (was normalerweise als Wohlstandsverlust wahrgenommen wird) verbunden sind. Daher wird versucht, die ANDEREN (die Radikalen) als Verursacher oder Auslöser all dieser Probleme darzustellen, um entsprechend den Ärger der WIR (die schweigende Mehrheit) auf die ANDEREN zu lenken. Dieses Phänomen ist in fast allen westlichen Demokratien zu beobachten, und führte zum Aufstieg von völlig ungeeignete Personen, wie Trump in den USA, Bolsonaro in Brasilien, all die populistischen Regierungen in Europa, wo es niemals um die Lösung der Probleme, sondern nur um die Inszenierung in der Öffentlichkeit bzw. um die Befriedigung der Interessen des Kapitals geht.

Folgt man einem der bedeutendsten Sozialphilosophen unserer Zeit, Jürgen Habermas, dann dürfte es gar keine schweigende Mehrheit geben, da einer der Grundpfeiler der Demokratie (siehe: „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ von Jürgen Habermas erschienen im Jahr 1962) das Vorhandensein eines öffentlichen Raumes ist, wo alle Bürger, oder deren Institutionen, die sie vertreten, Zugang haben und wo ein Wettstreit von Ideen und Meinungen stattfindet bzw. diese in Konkurrenz zueinander treten. Die Auswahl der am besten geeigneten Lösung folgt definierten und von allen akzeptierten Regeln der Diskursführung. Daher wird das Ergebnis der öffentlichen Lösungsfindung in aller Regel von den beteiligten Gruppen akzeptiert, da es aus dem Wettstreit der besten Ideen als am besten geeignet hervorgegangen ist (oder zumindest hervorgehen sollte).

Von diesem Ideal haben sich die okzidentalen Gesellschaften schon zu Beginn der 80er oder 90er Jahre abgewandt, hin zu einem eher paternalistischen System, wo von wenigen bestimmt wird, wie und was die Masse zu denken hat. Dies führt unmittelbar zu Aussagen wie „die schweigende Mehrheit will …“, ohne die Heterogenität dieser Gruppe auch nur im Geringsten zu berücksichtigen.

Man könnte also das angenommene Vorhandensein einer „schweigenden Mehrheit“ auch als Versagen des öffentlichen Diskurses und deren Teilnehmer interpretieren.

Begünstigt durch die enormen Fortschritte in der IT-Technologie, und der Etablierung der sozialen Netzwerke, sowie deren Eindringen in alle Lebensbereiche, sind wir heute mit einer Kontrolle der Öffentlichkeit und der veröffentlichten Meinung konfrontiert, das alles bisher dagewesene in den Schatten stellt. Diese Plattformen versetzen jeden einzelnen in die Lage, beliebige Texte ohne jegliche Filterung, Reflexion oder Qualitätskontrolle zu publizieren. Die großen Konzerne, die hinter den Plattformen wie Facebook, YouTube, TikTok, Instagram usw. stehen, weigern sich beharrlich, zumindest eine minimale redaktionelle Kontrolle sicherzustellen. Auf diesen Plattformen herrscht eine Kultur des „Klick zählens„, sei es positiv oder negativ, und dieser Wettbewerb der Klicks verhindert, dass sich die besten Ideen durchsetzen können, da sie in der Regel vom Klick-Wettbewerb übertönt werden. (siehe: Jürgen HabermasEin neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit und die deliberative Politik„).

Da die sozialen Medien durch sehr ausgereifte Algorithmen und immer massiveren Einsatz von KI gesteuert werden, befinden sich die Nutzer, ohne es zu bemerken, in einer Filterblase, wo einige wenige IT-Riesen bestimmen, welche Inhalte der Einzelne überhaupt zu sehen bekommt. Was jeder Einzelne sieht, wird unter anderem aus der Klickhistorie in Übereinstimmung mit den ökonomischen Interessen der IT-Riesen errechnet.

In der Regel verstärkt das bereits bestehende Vorurteile und Meinungen, da man nur mehr gleichartige Informationen zu den jeweiligen Themen bekommt, und dadurch die eigene Denkweise scheinbar bestätigt wird. (siehe dazu: „Filter Bubble von Eli Pariser erschienen im Jahr 2012“)

Es geht uns als Gesellschaft einerseits die Serendipität (das Finden durch Zufall, das überraschende Lösungswege aufzeigen kann) verloren und andererseits werden wir in den sozialen Netzwerken zusehends entmündigt, sodass ein ausgewogener öffentlicher Diskurs nur mehr sehr schwer möglich ist.

Die zunehmende Polarisierung, befeuert durch die Individualisierung der Gesellschaft, die eine der Grundlagen der neoliberalen Wirtschaftstheorie ist, begünstigt nationalpopulistische Strömungen, die, wie die Geschichte sehr deutlich zeigt, niemals eine Lösung für die Probleme dieser Zeit gefunden hat.

Um diesen populistischen Strömungen entgegenzutreten, hat die etablierte Politik, sei sie bürgerlich-konservativ oder sozialdemokratisch, bis dato nur die Anwendung derselben populistischen Methoden als (Nicht)Lösung parat. Dies ist eine mögliche Erklärung für Aussagen, wie sie eingangs in diesem Artikel beschrieben werden.

Was wir als (okzidentale) Gesellschaft brauchen würden, wären konsenssuchende Kräfte, die über verschiedene Anschauungen hinweg gemeinsame Lösungen für die Herausforderungen unserer Zeit, unbeeinflusst vom Getöse der Populisten oder den diversen Hypes in sozialen Medien, finden.

Nur wenn wir (wieder) lernen, Nachrichten kritisch auf Authentizität zu hinterfragen, sich ein eigenes Bild zu den Themen der Zeit aufgrund von fundierten Kenntnissen bzw. Recherche zu machen, sich aus den Fängen der diversen Filterblasen, Echokammern und ähnlichen Mechanismen zu befreien, kann dieses Kunststück gelingen.

Warum das sehr schwer wird haben, haben Theodor W. Adorno und Max Horkheimer in ihrem Meisterwerk „Die Dialektik der Aufklärung“ veröffentlicht 1944, ausführlich beschrieben.

Wenn wir auch in Zukunft in einer freien Gesellschaft mit demokratischen Spielregeln leben wollen, müssen wir uns als Gesellschaft zum Widerstand gegen den wieder aufkeimenden Faschismus und gegen den alles beherrschenden Finanzkapitalismus, formieren und die Rückeroberung des öffentlichen Raumes anstreben